Rezensionsfragment: Georg Klein - Die Zukunft des Mars

Wie entsteht ein neuer Mensch, eine neue Menschheit – eine greifbare Zukunft?

Genügt der Zusammenbruch der Zivilisation durch eine globale Pandemie? Nein. Die Pandemie kippt bloß die Waage, lässt die Menschen, oder besser, die (alten und neuen) Mächtigen, ihre Nächstenliebe zugunsten einer verzweifelt beschworenen Stabilität zurückstellen. Wer sollte sich gegen sie stellen? Mehr als die halbe Weltbevölkerung ist schließlich bereits gestorben. Alles außer dem Selbst verblasst für eine Zeit, und danach muss man feststellen, dass man immer noch die gleiche Menschheit ist wie zuvor. Man lebt in den alten Städten, spricht ähnliche Sprachen, sehnt sich nach dem gleichen Luxus, wünscht sich zu kommunizieren, wünscht sich Sicherheit für seine Kinder und fürchtet sich, obwohl man dem schlimmsten Feind des Lebens bereits begegnet ist, vor seinem Nachbarn, der einer anderen Gruppe angehört.

Genügt es, auf einem anderen Planeten zu sein? Genügt es, von der Erde überhaupt nichts mehr zu wissen, eine völlig neuartige Gesellschaft erbaut zu haben, karge Ressourcen aus dem Stein zu kratzen und sich von den Auswüchsen eines außerirdischen Megaorganismus zu ernähren, die Sprache auf Allernötigste gestutzt? Nein. Man ist Mensch, hat einen Namen, hat eine Rolle, man lüstet, man wütet, man fürchtet, man strebt.

Was ist also die Zukunft des Mars? Es bleibt ungewiss. Die Gegenwart des Mars ist bekannt und die Gegenwart der Erde nicht, aber die Zukunft. Der Roman geschieht viel mehr im Vergangenen. Auf der Erde dreht sich alles um kaputte Maschinen einer verlorenen Welt und um die verzwerrte Erinnerung daran, aus der man nichts lernen kann. Auf dem Mars geht es um im Wüten eines Feuersturms aus der Not geborenen Gebote, denen zu widersprechen das Ende allen Lebens bedeuten muss. Rückschau, immer zurück, um sich vergewissern, dass die Gegenwart gar nicht anders sein kann als sie ist. Die Vergangenheit nur soweit bekannt, soweit sie den Status Quo rechtfertigt. Die Not und der trotz unheimlichen Mangels verstörend altbekannte Alltag verbieten mehrdimensionales Grübeln auf der Erde und auch Gedenken an die Astronauten, die man irgendwann einmal fortgeschickt hat. Und auf dem roten Planeten darf erst gar nicht in dem einen Buch gelesen werden, das man von Zuhause noch hat. Alles, was vom Jetzt ablenkt, ist verboten. Zwei Welten in Not, beide stolpern blind nach vorne, drehen sich manchmal um, sehen dabei aber zu Boden, auf einen Abgrund oder Abstieg zu. Oder ist es eine unbekannte Macht, die sie zu verschlingen droht? Wenn man es nicht wissen kann, ist es egal, wenn man es nicht wissen will, dann ist es gut so und bloß natürlich.

Die Zukunft des Mars kündigt sich an, aber man bekommt sie nicht zu sehen. Man liest schließlich im Jetzt.

Peter Huemer